Rede Sandra Goldschmidt, ver.di Hamburg, am 8. September 2021

Im Hamburger Hafen organisieren wir als Gewerkschaft ver.di heute tausende Beschäftigte. Wir engagieren uns für bessere Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen und verteidigen Beschäftigung hier im Hafen. Für uns geht es nicht in erste Linie um die Hafenwirtschaft, sondern die Beschäftigten in den Hafenunternehmen. Von der Stadt und ihren Beteiligungen, von den Unternehmen, erwarten wir eine Hafenentwicklung, die eine soziale, gesunde und ressourcensparende Zukunft gewährleistet wird. Wir setzen nicht auf die Konkurrenz, sondern auf die Solidarität der Hafen-Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Wir wissen sehr wohl um die Konkurrenz der großen Häfen Europas und den Druck der Unternehmen auf die Verantwortlichen in den Städten und der Politik. Doch nicht deswegen sind heute hier zusammen. Es geht um die Erinnerung an die NS-Zwangsarbeit, an den Einsatz von Zwangsarbeitern in den Unternehmen in der Zeit von 1939 bis 1945. Dieses Kapitel der Nazi-Zeit ist streckenweise unaufgearbeitet und das Schicksal der Betroffenen unbekannt. Und das muss ein Ende haben! Es war eine rassistische, zutiefst menschenverachtende, Ideologie, die dazu führte, dass Menschen erst ausgegrenzt, verfolgt und später millionenfach ermordet wurden. Wir haben daraus als Gewerkschaftsbewegung Lehren gezogen und treten aktiv für die Sicherung und den Ausbau sozialer und demokratischer Rechte im Betrieb und der Gesellschaft ein. Menschenrechte sind universell! Das mag sich wie eine Sonntagsrede anhören, doch für uns, die wir Einkommen und Arbeitsbedingungen mit den Unternehmern in Tarifverträgen regeln, ist es eine fundamentale Lehre aus der NS-Zeit: Soziale und rassistischen Ausgrenzung, die Entsolidarisierung einer Gesellschaft gelingt dort, wo die soziale Spaltung vertieft wird. Es gelingt da, wo eine Politik verfolgt wird, die nicht die Teilhabe stärkt, sondern die Renditen in den Mittelpunkt stellt. Dort ist der Nährboden der Entsolidarisierung und der Wolfsgesetze. 

Franci Rabinek-Epstein war seit Juli 1944 KZ-Häftling im Außenlager des KZ Neuengamme, hier im Lagerhaus G. Sie kam aus dem KZ Auschwitz und wurde auch im Hamburger Hafen zur Zwangsarbeit eingesetzt. In ihrer Erinnerungen “Francis War”, die ihre Tochter Helen letztes Jahr in den USA herausbrachte, erzählte sie u.a. über ihren Aufenthalt, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen hier im Lagerhaus G. Sie erzählt auch die Geschichte von Bruno aus Treviso. Er war italienischer Militärinternierter hier Lagerhaus G und musste für den GHB in anderen Hafenunternehmen arbeiten. Sie erinnerte sich an die Wirkung der menschlichen Worte nach tagelange Fahrt von Auschwitz direkt bis hier vor das Lagerhaus G. Sie erinnerte sich, dass es trotz der SS-Bewachung im Lagerhaus G es immer wieder möglich war, mit den IMIs ins Gespräch zu kommen. Sie halfen ihnen auch mit Lebensmitteln. Das war menschlich und praktische Solidarität! 

Als Gewerkschaft ver.di treten wir dafür ein, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, dass braune Rattenfänger auch hier im Hafen unter den Beschäftigten keinen Nährboden für ihre rassistischen Absichten finden. Wir haben eine klare Haltung. Zusammen mit unserer Vertrauenskörperleitung und den gewerkschaftlich organisierten Betriebsräte im Hafen bemühen wir uns darum, dass trotz der vielen Herausforderungen der Blick auf die geschichtlichen Erfahrungen nicht durch die täglichen Auseinandersetzungen verdrängt wird. 

Frieden, Verständigung, und wie Orlando Materassi sagte, Versöhnung, sind elementare Rechte, die man verteidigen und durchsetzen muss. Dafür engagieren wir uns mit Leidenschaft. Für uns gehören soziale, demokratische und ökologische Fragen zusammen. Es sind vergangene, gegenwärtige und zukünftige Themen, denen wir uns immer wieder neu stellen müssen. Und wollen!

(Es gilt das gesprochene Wort)

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