Redebeitrag Jan Krüger am 8. September 2022

Jan Krüger vom AK Distomo hat für die „Projektgruppe italienische Militärinternierte Hamburg“ am 8. September 2022 den Beitrag geredet.

Wir haben in mehreren Beiträgen über das Leid und die Opfer der IMIs und insbesondere über Marino Ruga erfahren und es stellt sich die Frage: Haben sie eine Entschädigung erhalten? Wurde Ihnen nachträglich ein Lohn für die geleistete Zwangsarbeit gezahlt?

Ich nehme es vorweg: Leider nein.

Stattdessen hat Ende April diesen Jahres die Auseinandersetzung um die berechtigten Entschädigungsforderungen einen weiteren traurigen Höhepunkt erreicht.

Am 29. April 2022 hat die Bundesrepublik Deutschland Italien vor dem IGH verklagt. Die Klage zielte darauf ab, dass in Italien Gerichtsprozesse eingestellt werden – Prozesse, bei denen Opfer deutscher NS-Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs Schadensersatz von Deutschland einforderten.

Am 30. April 2022 – also einen Tag später – erließ die Italienische Regierung ein Dekret, das mittlerweile in ein Gesetz umgewandelt wurde, nach dem Entschädigungsansprüche italienischer Staatsangehöriger vom italienischen Staat beglichen werden und hierzu von der italienischen Regierung bis zum Jahr 2026 über 55 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden. Ferner sind alle gegen Deutschland geführten Entschädigungsprozesse einzustellen, Vollstreckungstitel außer Kraft zu setzen und die bisherigen Vollstreckungsmaßnahmen italienischer Gerichte aufzuheben. Nach diesem Gesetzt sind die NS-Opfer in Italien rechtlos gestellt! Deutschland hat seine Entschädigungsverpflichtungen auf den italienischen Staat abgewälzt.

Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Italien und Deutschland sind die noch heute offenen Entschädigungsforderungen aufgrund der NS-Verbrechen während des II. Weltkriegs. Als am 8. September 1943 Italien ein Waffenstillstand mit den Alliierten vereinbarte, besetzen die Nationalsozialisten Italien und der ehemals wichtigste Verbündete wurde zum sog. Verräter. In der Folge wurden italienische Kriegsgefangene besonders grausam behandelt. Im Rahmen von sog. Bandeneinsätzen wurden zudem in über 600 italienischen Orten schwerste Kriegsverbrechen begangen. So geschehen in Sant’Anna die Stazzema, wo am 12. August 1944 mehr als 560 Menschen ermordet wurden, darunter Frauen und Kinder. 

Ein besonders schweres Schicksal erlitten die italienischen Militärinternierten. Italienische Militärangehörige, die nicht auf deutscher Seite weiterkämpfen wollten, wurden gefangengenommen, und ins Reich sowie in die besetzten Gebiete im Osten abtransportiert und unter unmenschlichen Bedingungen als Zwangsarbeiter eingesetzt. Die über 600.000 Verschleppten wurden zu sogenannten italienischen Militärinternierten (IMI) erklärt, womit ihnen auch die wenigen Rechte eines Kriegsgefangenen verweigert wurden. Zwischen September 1943 und Mai 1945 starben mehr als 50.000 italienische Militärangehörige. Sie wurden direkt nach der Gefangennahme von deutschen Truppen ermordet, starben beim Abtransport in die Lager oder infolge der menschenunwürdigen Bedingungen ihrer zwanzigmonatigen Gefangenschaft.

Deutschland hat an Italien nach dem Ende des II. Weltkriegs nur Minimalbeträge als Entschädigungsleistungen gezahlt. Im Rahmen eines „Globalabkommens“ wurden 1961 40 Mio. DM an den italienischen Staat gezahlt, allerdings wurden nur die Insassen von Konzentrationslagern berücksichtigt. Opfer von NS-Massakern und Zwangsarbeiter gingen leer aus.

Als im Jahr 2000 unter massiven Druck aus USA ein Fonds aufgelegt wurde, der die Zwangsarbeiter des NS-Staats entschädigen sollte, gab es auch in Italien Hoffnungen. Der Fonds wurde von der deutschen Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) verwaltet. Auch Marino Ruga stellte einen Antrag bei der EVZ – wie ich erst kürzlich erfahren habe. Doch die deutsche Regierung schloss die IMIs aus und verweigerte ihnen somit selbst eine kleine Entschädigung. Eine Entschädigung aus dem Fonds wurde ihnen verweigert da sie ”normale” Kriegsgefangene gewesen seien, und damit nicht entschädigungsberechtigt. Die Nazis hatten sie allerdings 1943 zu Zivilisten, nämlich zu „Militärinternierten“ erklärt, um ihnen die wenigen Rechte eines Kriegsgefangenen auch noch zu verweigern. Als Zivilisten wären sie damit berechtigt gewesen, Gelder aus dem Zwangsarbeiterfonds zu erhalten. Im Jahre 2000 behauptet die Bundesregierung jedoch, dass die Nazis damals im Jahre 1943 illegal gehandelt haben und die italienischen Zwangsarbeiter somit doch Kriegsgefangene gewesen seien und ihnen somit keine Entschädigung zustand.

Den Opfern der NS-Verbrechen blieb nach dieser erneuten Demütigung nur die Möglichkeit Klagen vor italienischen Gerichten einzureichen. In diesen Prozessen wurde Deutschland zu Entschädigungszahlungen verpflichtet, die Urteile wurden von dem höchsten italienischen Gericht, dem Kassationshof in Rom bestätigt.

Daraufhin verklagte Deutschland Italien erstmals vor dem IGH in Den Haag. Der IGH gab der deutschen Seite in einem Urteil von 2012 recht und bestätigte damit, dass selbst bei schwersten Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen keine individuellen Entschädigungsansprüche gerichtlich geltend gemacht werden können. Nach dem Grundsatz der Staatenimmunität dürfe ein Staat nicht vor einem Gericht eines anderen Staates verklagt werden.

Das IGH-Urteil widerspricht allerdings dem italienischen Recht, nach dem jede Bürgerin und Bürger ein Recht auf Zugang zu Gerichten haben muss, insbesondere bei schwersten Kriegsverbrechen. Folglich entschied im Jahr 2014 das italienische Verfassungsgericht, dass das Urteil des IGH für die italienischen Gericht nicht bindend ist. Die italienischen Urteile, die Deutschland zu Entschädigungszahlungen verpflichteten, blieben nach wie vor gültig und die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen deutsche Vermögen und Liegenschaften wurden von italienischen Anwälten weiterverfolgt. Am 25.5.2022 sollte ein Vollstreckungsgericht in Rom über die Einleitung von Zwangsversteigerungsmaßnahmen gegen deutsche Liegenschaften entscheiden, hierzu kam es aufgrund der Klage Deutschlands vor dem IGH im April 2022 nicht. 

Deutschland hat sich wieder einmal erfolgreich geweigert berechtigte Entschädigungsforderungen zu begleichen. Von deutscher Seite wird immer wieder erklärt, dass das Thema Reparationen und Entschädigungen abschließend geklärt sei. Die aktuelle Auseinandersetzung beweist das Gegenteil. Auch die heutige Regierung mit einer grünen Außenministerin will sich nicht länger mit ihrer furchtbaren Geschichte auseinandersetzen.

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