Die ersten Tage bei den Hamburger Wasserwerken

(Das Tagebuch über Hamburg beginnt am 29. Oktober 1943 und ist auf einem kleinen Block geschrieben. Es endet am 7. Dezember 1943)

Fr. 29. Oktober 1943

Der letzte Ruhetag verlief ruhig. Das auf allen würdigen und unwürdi- gen Wegen besorgte Essen ist reichlich gewesen. Nebliges Wetter.

Sa. 30. Oktober 1943

Bis 13 Uhr nach dem Essen gearbeitet und dann in die Unterkunft zu- rückgekehrt, nachdem ich eine üppige Portion Gemüsesuppe verzehrt hatte, die der Arbeitgeber uns Arbeitern in seinem Trinkwasserfilter- unternehmen für die Stadt Hamburg ausgab. So kann man wenigstens ein wenig mehr dem Hunger widerstehen. Fast den ganzen Vormittag herrschte dichter Nebel. Der Rest des Tages verging, indem ich in den schönsten Erinnerungen schwelgte.

So. 31. Oktober 1943

In dieser letzten Zeit meines Lebens habe ich mich an alle Berufe ge- wöhnt, aber niemals hätte ich gedacht, Frisör werden zu müssen. Wenn die Haare lang sind, müssen wir sie uns gegenseitig schneiden, und so musste ich heute Morgen einem meiner Freunde die Haare schneiden, aber ich war wie er ein Laie in der Kunst des Figaro. Schönes Wetter, aber ich leide ein wenig an Hunger. Die Stimmung ist überhaupt nicht lustig, seit einigen Tagen herrscht Uneinigkeit unter den Männern, und dafür gibt es viele Gründe. Wir haben jedenfalls beschlossen, unabhängig voneinander zu sein, jeder denkt nur an sich und nicht mehr wie vorher an alle. Die Stimmung ist sehr schlecht.

Mo. 1. November 1943

Heute ist Allerheiligen, aber das wurde bei uns überhaupt nicht feier- lich begangen. Vor Kurzem führten wir neue Arbeiten durch, jedoch stets für die Wasserwerke, es handelt sich darum, den Sand der Filter- becken auszutauschen. Ein ausgezeichneter Tag, die Stimmung ist nicht so gut.

Di. 2. November 1943

An diesem Tag wird der Verstorbenen gedacht, und deshalb sollte man ihnen zu Ehren eine kleine Feier machen. Genau wie gestern ist dies nicht geschehen. Wir arbeiteten wie üblich stundenlang, und bei der Rückkehr hatte ich einen Vorrat an Kohlköpfen, die ich, um sie vor

der Durchsuchung durch die Deutschen zu retten, verstecken musste. Ich werde morgen schauen, ob es mir gelingt, diese nützliche essbare Feldfrucht von heute in Sicherheit zu bringen. Das Wetter am Morgen: dichter Nebel, aber am Nachmittag dann weniger.

Mi. 3. November 1943

Die erste Arbeit des Tages war, gleich nach dem Aufstehen die gestern Abend versteckten Kohlköpfe in Sicherheit zu bringen, wie im Tagebuch gestern erwähnt. Bei der Arbeit habe ich den Füllfederhalter mit den Niederländern gegen ein Brot getauscht, offensichtlicher Grund ist der zu große Hunger. Am Nachmittag habe ich wegen des Fußes, der mir seit einiger Zeit furchtbar wehtut, nicht gearbeitet. Sehr kalt. Einein- halb Stunden Fliegeralarm mit negativem Ausgang.

Do. 4. November 1943

Heute ruhe ich mich aus, weil der Fuß wieder gebrochen ist. Kohl, Kartoffeln mit etwas Soße und ein wenig Margarine und auch Erbsen gekocht, all das aus den Trümmern und dem Ackerboden herausgeholt. Der berühmte Laib Brot ist bereits verschlungen. Es ist bewölkt und nicht kalt. Die Stimmung ist nicht schlecht.

Fr. 5. November 1943

Schönes Wetter, aber ein bisschen kalt. Ich ruhe mich wegen meines Fußes aus und warte darauf, dass der Arzt zur Untersuchung kommt. Zum Mittagessen Kohl und Kartoffeln gekocht und daraus dann ein gar nicht so schlechtes Püree gemacht. Der Luftalarm dauerte eineinhalb Stunden.

Sa. 6. November 1943

Das Wetter ist bedeckt und kühl. Um 11 Uhr ertönte das Signal des Voralarms. Wieder einmal aufgehoben. Mittags habe ich gekochte Kartoffeln und ein wenig Marmelade gegessen. Etwas Lektüre aus dem Bücherschrank geholt.

Do. 11. November 1943

Sankt Martin ist ein trauriger Tag mit Regen und Kälte, und obendrein musste ich noch damit beginnen, weitere Ziegelsteine am Fluss zu ent- laden. Allgemeine Beschwerde aller Männer über die Unmöglichkeit, zu arbeiten. Einschüchterung und Drohungen von deutscher Seite, aber sie mussten sich damit abfinden. In der Tat geben sie uns am Nachmittag Handschuhe, um unsere bereits aufgeschürften Hände zu schützen. Mittags und abends ausgezeichnetes Essen. Der Schwarzmarkt mit den internierten französischen, holländischen und anderen Arbeitern läuft weiter, aber es gelingt mir nicht, meinen Silberring zu verkaufen, mit dem ich seit einigen Tagen beharrlich zu handeln versuche. Bei der Arbeit habe ich einen Mann aus Vintebbio getroffen, mit dem ich viel über unser Zuhause und die Dörfer rede. Sie haben uns heute Abend mitgeteilt, dass wir bald zweimal in der Woche nach Hause schreiben können. Hoffen wir: bald; wir müssen alle endlich, nach fast drei Mona- ten, Nachrichten an unsere Lieben in Italien senden können. Ich habe heute Abend zum ersten Mal, seit ich da bin, nach dem heutigen Vor- alarm fünf Minuten lang die Hamburger Flakartillerie in Aktion gehört, ohne dass jedoch bombardiert wurde.

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